Die Weltlage ist zum Verzweifeln: ein Ende des Ukrainekriegs ist nicht in Sicht, dazu noch ein amerikanischer Präsident, der mit seinem irrationalen Handeln und seinem Rassismus die internationale Diplomatie brüskiert und verstört – für viele Anlass genug, die Weltöffentlichkeit mit ihren schlechten Nachrichten mehr und mehr auszublenden. Stattdessen verspricht der Rückzug ins Private vermeintlich etwas Trost. Doch die politischen Tendenzen setzen sich auch im Familien- und Freundeskreis fort. Unterschiedliche Meinungen, oft ins Extreme tendierend, gehen wie Risse durch private Kontakte. Auf wen ist noch Verlass? Wem kann man Vertrauen schenken? Wie die negativen Gedanken, die Schwermut, vertreiben, die selbst der Sommer mit seinem blühenden Leben nicht zu vertreiben mag?
Das aktuelle Poster der action 365 nimmt diese gesellschaftlichen Entwicklungen in den Fokus, mit einem Zitat der jüdisch-deutschen Schriftstellerin Hilde Domin: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten.“ Florentine Heimbucher hat dazu einen in Lila- und Blautönen changierenden Himmel entworfen, in dem sich weiße Vögel treiben lassen, fast wie aus Papier gefaltete Flieger. Oder sind es Tauben, die von Frieden künden?
Bei der Taufe Jesu erscheint eine weiße Taube, Sinnbild des Heiligen Geistes, der ihn erfüllt. Fünfzig Tage nach Ostern steht das Pfingstfest an, der Geburtstag der kirchlichen Gemeinschaft der Christinnen und Christen. Gefeiert wird, dass der Heilige Geist ebenfalls sinnlich wahrnehmbar auf die Apostel herabgekommen ist. Das Pfingstfest verkündet also die Gewissheit, dass Gott und sein Sohn immer bei der Welt geblieben sind, trotz Leid und Tod. Eine Botschaft von tiefstem Vertrauen.
Hilde Domin hatte nicht zuletzt wegen ihres von der Naziherrschaft erzwungenen Lebens im Exil wenig Vertrauen in die Beständigkeit und Verlässlichkeit menschlicher Beziehungen. Und doch, oder gerade deswegen schreibt sie das Gedicht, das davon erzählt, wie Nähe, Trost und Vertrauen möglich werden. Indem sie sich nicht passiv in ihrer Furcht verliert, sondern indem sie aktiv die Hand ausstreckt – sei es nach anderen Menschen, nach der tröstenden Natur oder auch nur in die Weite des Himmels, aus dem heraus vielleicht Trost in Gestalt eines Vogels herabschwebt. Trotz scheinbarer Hoffnungslosigkeit angesichts der Weltlage die Hand ausstrecken, damit etwas Wunderbares darauf landen kann, so ihre Botschaft.
Als Hilde Domin im Jahr 1986 einmal gefragt wurde, wieviel Mut denn eine Person benötige, die schriftstellerisch tätig sein wolle, antwortete sie, dass man drei Arten von Mut benötige: „Den, man selber zu sein. Den Mut, nichts umzulügen, die Dinge beim Namen zu nennen. Und drittens den, an die Anrufbarkeit der anderen zu glauben.“ Diese drei Arten von Mut sollten sich nicht nur Schriftsteller und Schriftstellerinnen zu Herzen nehmen, sondern jeder und jede von uns. Denn jede noch so kleine Tat, aus Mut vollbracht, kann helfen, die Lage der Welt zu verändern.
Text: Ulrike Maria Haak